| Position

Bonner Erklärung 2025: „Altersvorsorge – Reformstau nach Regierungsbildung“

Die Vorsitzenden der Vertretervereinigungen der deutschen Versicherungsunternehmen, das Präsidium des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK) sowie die Vorstände des Arbeitskreises Vertretervereinigungen der Deutschen Assekuranz e.V. (AVV), die zusammen mehr als 40.000 Versicherungsvermittler in Deutschland repräsentieren und damit die weitaus größte Interessenvertretung der Versicherungs- und Bausparkaufleute in Deutschland und Europa sind, verabschiedeten in Bonn die nachstehenden Positionen.

Neue Regierung, alte Herausforderungen

Nach der Regierungsbildung im Frühjahr 2025 sieht der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK) dringenden Handlungsbedarf in der Altersvorsorgepolitik. Die neue Koalition aus CDU, CSU und SPD hat zwar erste Maßnahmen angekündigt, doch der Reformstau in allen drei Säulen der Altersvorsorge bleibt bestehen. Die demografischen Herausforderungen, die steigende Lebenserwartung und die wachsende Bedeutung kapitalgedeckter Vorsorgeformen verlangen eine umfassende und zukunftsorientierte Reformagenda, Stückwerk und Einzelmaßnahmen reichen nicht aus, diese Herausforderungen zu meistern.

Gesetzliche Rentenversicherung: Stabilität ohne Zukunftssicherung

Im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung hat die Regierung mit der Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis zum Jahr 2031 aufgrund fehlender solider Gegenfinanzierung kein langfristiges Konzept zur Sicherung der Altersvorsorge verabschiedet. Auch die Ausweitung der Mütterrente für vor 1992 geborene Kinder sowie die Einführung der sogenannten Aktivrente, die einen steuerfreien Hinzuverdienst bis zu 2.000 Euro monatlich ermöglicht, blenden sozialpolitisch die steigenden Belastungen für Beitrags- und Steuerzahler aus, die demografischen Herausforderungen bleiben weiter ungelöst. Die Diskussion um ein Generationenkapital ist bislang nicht abgeschlossen, und eine kapitalgedeckte Ergänzung der umlagefinanzierten Rente bleibt aus Sicht des BVK unverzichtbar, um die Belastung zukünftiger Generationen zu begrenzen. Hier gibt es noch viel zu tun!

Betriebliche Altersvorsorge: Fortschritte mit Einschränkungen

Die Reform der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) zeigt Licht und Schatten. Der vorgelegte Referentenentwurf zum Zweiten Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG II) enthält sinnvolle Ansätze, etwa die Öffnung der Sozialpartnermodelle für nicht-tarifgebundene Unternehmen, die Einführung von Opt-out-Systemen mit verpflichtendem Arbeitgeberzuschuss sowie Verbesserungen bei der Portabilität und Digitalisierung. Auch die erhöhte Förderung für Geringverdiener ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dennoch bleiben zentrale Herausforderungen ungelöst. Die klassischen Durchführungswege der bAV sind weiterhin komplex und für viele kleine und mittlere Unternehmen schwer handhabbar. Es fehlt an rechtlicher Klarheit und Planbarkeit, insbesondere im Hinblick auf Garantien und Haftungsfragen. Der BVK fordert daher eine praxisnahe Vereinfachung der bestehenden Systeme und eine stärkere Berücksichtigung der Bedürfnisse mittelständischer Betriebe.

Private Altersvorsorge: Reform angekündigt, Umsetzung offen

Ein zentrales Thema bleibt die Zukunft der privaten Altersvorsorge. Die Bundesregierung plant zwar, diese zu reformieren, will aber – wie die Vorgängerregierungen auch – erst einmal eine Kommission einsetzen, die Reformvorschläge erarbeiten soll. Die Vermittler mahnen eine grundlegende Reform insbesondere der Riester-Rente an. Weniger Bürokratie, flexiblere Ausgestaltung bei Garantiezusagen und eine Erweiterung des förderfähigen Personenkreises sind seit Jahren zentrale Forderungen des BVK.

Ohne die Expertise und Einbindung der Vermittler drohen praxisferne Regulierungen und ein Vertrauensverlust bei den Kunden. Die Vermittler fordern eine rasche Entscheidung der Politik, damit Altersvorsorgesparer endlich Planungssicherheit für die nächsten Dekaden erhalten.

Sorgen bereiten dem BVK in diesem Zusammenhang die Pläne der Koalition für ein standardisiertes Vorsorgeprodukt, das mit reduzierten Abschluss-, Produkt- und Verwaltungskosten auskommen soll. Dies könnte ein Einfallstor sein zu einem ordnungspolitisch problematischen Eingriff in die Vergütung freier Vermittlerbetriebe. Künftige Modelle der Altersvorsorgeberatung dürfen aber nicht zulasten der Vermittler gehen, eine sachgerechte Vergütung ist aus Sicht der Vermittler zwingend erforderlich.

Ein anderer Punkt in diesem Themenfeld ist die von der Bundesregierung geplante Frühstart-Rente mit der sich Kinder ab sechs ein Altersvorsorgekapital bis zum Renteneintritt aufbauen sollen. Doch auch hier muss man schauen, wie die konkrete gesetzliche Ausgestaltung aussehen wird und ob die Expertise des Berufsstands miteinbezogen wird.

Gleiche Wettbewerbsbedingungen für Finfluencer

Nach einer Umfrage der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) orientieren sich mehr als die Hälfte der Anleger aus den jungen Generationen Y und Z an Anlageempfehlungen von Finfluencern. Das ist nicht unproblematisch, da hier teilweise Personen in Sozialen Medien agieren, deren Anlageempfehlungen zumindest fragwürdig sind.

Deshalb hat der BVK zu den Geschäftspraktiken von Finfluencern ein Gutachten des renommierten Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski erstellen lassen. Es kommt zu dem Ergebnis, dass Finfluencer Anlageempfehlungen oder Anlagestrategien in Sozialen Medien verbreiten dürfen, solange die Informationen objektiv richtig dargestellt und Interessenkonflikte offengelegt werden. Empfehlen Finfluencer Gelegenheiten zum Vertragsabschluss, gelten sie als Tippgeber und müssen etwaige Vergütungen offenlegen. Unterlassen sie dies, verstoßen sie gegen die Objektivitätspflicht und riskieren Bußgelder sowie Schadensersatzforderungen. Vermitteln Finfluencer sogar aktiv Wertpapiere, Kryptowerte oder Versicherungen, erfüllen sie die Anforderungen eines Vermittlungs- und Beratungsvertrags und benötigen hierfür eine gewerberechtliche Zulassung. Fehlt diese, handeln sie rechtswidrig und riskieren Bußgelder, Strafbarkeit und Nichtigkeit der vermittelten Verträge.

Deshalb fordern die Vermittler, dass die BaFin und die IHK‘n durch geeignete Stichproben dafür sorgen sollten, dass Finfluencer, die Anlagevermittlung und
-beratung ohne gewerberechtliche Zulassung betreiben, aus dem Markt genommen werden. Ihre Tätigkeit muss unterbunden werden. Gerade gegenüber der wichtigen Beratungsleistung der Vermittler sind gleiche Wettbewerbsbedingungen einzuhalten.

Reduzierung von Regulatorik und Bürokratie

Viele Vermittlerbetriebe leiden unter dem immer weiter steigenden bürokratischen Aufwand, sei es bei Datenschutz, Produkthaftung oder Berichts- und Dokumentationspflichten zum ESG-Komplex. Gerade kleinere Betriebe können diesen Aufwand nicht stemmen bzw. verfügen nicht über das Personal, um den Berichtspflichten gerecht zu werden. Daher drohen sie zunehmend durch steigende Komplexitäts- und Bürokratiekosten aus dem Markt gedrängt zu werden. Dies kann fatale Folgen für die persönliche Beratungspraxis haben.

Ein effizienter Abbau von Bürokratie steht daher ganz oben auf der Agenda des BVK.

Unsere Forderung lautet: praxisnahe, verhältnismäßige Regulierung statt Detailversessenheit und Misstrauenspolitik. Zudem sollten die in den letzten Jahren in Kraft getretenen Regelwerke evaluiert werden, bevor wieder neue beschlossen werden.

Europäische Regulatorik auf dem Prüfstand

Auch die europäischen Regulierungsthemen wie die Retail Investment Strategy (RIS) oder auch die Financial Data Access Regulation (FIDA) der EU-Kommission sehen die Vermittler kritisch.

Im Mai 2023 veröffentlichte die EU-Kommission einen Entwurf, wie sie das selbst gesetzte Ziel einer größeren Beteiligung von Kleinanlegern an den Renditemöglichkeiten der Finanzmärkte erreichen will. In diesem Entwurf waren u. a. partielle Provisionsverbote vorgesehen, wenn Vermittler erklären, dass sie auf unabhängiger Basis beraten. Dies kritisierte der BVK und pochte auf rechtliche Klarstellungen, und darauf das deutsche Versicherungsmakler davon nicht betroffen sein werden. Im Verlauf konnte der BVK durch intensive Interessenvertretung ein generelles Provisionsverbot abwenden. Künftig sollten die politischen Entscheidungsträger von Provisionsverboten Abstand nehmen. Der BVK warnt jedoch weiterhin vor einer Überregulierung, die den Zugang zu Kapitalmarktprodukten für Kleinanleger eher erschwert als erleichtert.

Die geplanten Prüf- und Offenlegungspflichten – etwa der „Best Interest“- und Inducement-Test – führen aus Sicht des BVK zu einem bürokratischen Mehraufwand, der weder den Vermittlern noch den Kunden nützt. Statt echter Anreize für Vermögensbildung droht eine praxisferne Regulierung, die die Beratung verteuert und verkompliziert.

Auch bei FIDA äußert der BVK erhebliche Bedenken: Die geplante verpflichtende Datenweitergabe stellt die Versicherungsbranche vor technisch und organisatorisch aufwendige Aufgaben, deren Nutzen für Verbraucher nicht überzeugend dargelegt wurde und hohe Kosten verursacht, ohne klaren Mehrwert zu schaffen, und damit Vermittler indirekt zusätzlich belastet, etwa durch Anpassungen ihrer Verwaltungssoftware.

Der BVK fordert daher entweder die Pläne ad acta zu legen oder zumindest eine praxisnahe, verhältnismäßige Regulierung umzusetzen, die die Rolle der Vermittler stärkt, statt sie durch überzogene Anforderungen zu schwächen. An den tendenziell positiven Entwicklungen auf EU-Ebene hat der BVK mit seinem bewährten Büro in Brüssel maßgeblichen Anteil und wird sich weiter in den Entscheidungsfindungsprozess einbringen.

Fazit und Forderungen

Die Vermittler fordern die Bundesregierung nachdrücklich auf, die Altersvorsorgepolitik endlich zukunftsfest und generationengerecht zu gestalten.

  1. Die gesetzliche Rentenversicherung muss dringend reformiert werden. Die Stabilisierung des Rentenniveaus ohne solide Gegenfinanzierung ist kein nachhaltiger Weg. Eine kapitalgedeckte Ergänzung zur umlagefinanzierten Rente ist unverzichtbar, um die Belastung zukünftiger Generationen zu begrenzen und die demografischen Herausforderungen zu bewältigen.
     
  2. Auch die betriebliche Altersvorsorge bedarf einer praxisnahen Vereinfachung. Die bestehenden Systeme sind für viele kleine und mittlere Unternehmen zu komplex und rechtlich unsicher. Es braucht klare, planbare Rahmenbedingungen, die die Bedürfnisse des Mittelstands berücksichtigen und die Durchführungswege verständlich und handhabbar machen.
     
  3. Die private Altersvorsorge muss endlich modernisiert werden. Die angekündigte Reform darf nicht erneut in einer Kommission versanden. Es braucht weniger Bürokratie, flexiblere Garantiezusagen und eine Erweiterung des förderfähigen Personenkreises. Gleichzeitig warnt der BVK vor ordnungspolitisch bedenklichen Eingriffen in die Vergütungsstruktur freier Vermittlerbetriebe. Eine sachgerechte Vergütung ist zwingend erforderlich, um die Beratungsqualität zu sichern.
     
  4. Besorgt zeigen sich die Vermittler auch über die zunehmende Bedeutung von Finfluencern in der Anlageberatung. Ihre Tätigkeit muss klar reguliert werden. Wer ohne gewerberechtliche Zulassung Anlageprodukte vermittelt, handelt rechtswidrig. Die BaFin und die IHK’n müssen durch geeignete Stichproben sicherstellen, dass solche Praktiken unterbunden werden. Gleiche Wettbewerbsbedingungen sind essenziell für eine funktionierende Marktwirtschaft.
     
  5. Zudem fordert der BVK einen spürbaren Abbau von Bürokratie und Regulatorik. Der zunehmende Aufwand bei Datenschutz, ESG-Berichtspflichten und Produkthaftung belastet insbesondere kleinere Vermittlerbetriebe und gefährdet die persönliche Beratung. Es braucht eine verhältnismäßige Regulierung, die auf Praxistauglichkeit setzt, statt auf Detailversessenheit. Bestehende Regelwerke sollten zunächst evaluiert werden, bevor neue beschlossen werden. Dies gilt insbesondere für die europäischen Vorhaben zur RIS und FIDA, deren Mehrwert von den Vermittlern bezweifelt wird.

Mit ihrer Expertise werden sich die Versicherungskaufleute weiter in die politische Debatte einbringen. Altersvorsorge braucht Vertrauen, Verlässlichkeit und eine starke Beratung – dafür setzen wir uns ein.

Bonn, den 7.10.2025