Bonner Erklärung - "Digitalisierung im Lichte der Umsetzung der IDD"
Die Vorsitzenden der Vertretervereinigungen der deutschen Versicherungsunternehmen, das Präsidium des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK) sowie die Vorstände des Arbeitskreises Vertretervereinigungen der Deutschen Assekuranz e.V. (AVV), die zusammen mehr als 40.000 Versicherungsvermittler in Deutschland vertreten und damit die weitaus größte Interessenvertretung der Versicherungs- und Bausparkaufleute in Deutschland und Europa sind, verabschiedeten in Bonn die nachstehenden Positionen.
1. Faire Umsetzung der EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD)
Die Vorsitzenden der Vertretervereinigungen, der BVK und die Vorstände des AVV fordern von den politischen Entscheidungsträgern, bei der nun anstehenden nationalen Umsetzung der IDD mit Augenmaß vorzugehen. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung im Versicherungsvertrieb begrüßen die Vermittler die ausdrückliche Berücksichtigung und Gleichbehandlung aller Vertriebswege („fair-level-playing-field“) im Rahmen der IDD, inklusive des Direkt- und Internetvertriebs sowie von Apps.
Obwohl die bestehenden deutschen Regelungen des Versicherungsvermittlerrechts im Wesentlichen bereits die Voraussetzungen der IDD erfüllen, fordern die Vermittler in Deutschland eine konsequente nationale Umsetzung der IDD. Hiermit ist im Speziellen die Verankerung eines einheitlichen Rechtsrahmens für den digitalen und stationären Versicherungsvertrieb in Deutschland gemeint, der Ungleichbehandlungen und somit Wettbewerbsverzerrungen am Markt ausschließt. Damit die Chancen und Möglichkeiten der Digitalisierung von allen Marktteilnehmern genutzt werden können, muss gleiches Recht für alle gelten.
2. Verbraucherschutz
Die Vermittler betonen gleichzeitig, dass die Digitalisierung des Versicherungsvertriebs als Chance für Vermittler und Verbraucher gesehen wird und die Vorteile der Digitalisierung genutzt werden sollten. Dennoch ist es aus Verbraucherschutzaspekten wichtig, Risiken der neuen technischen Möglichkeiten zu identifizieren und zu benennen. In diesem Zusammenhang warnen die deutschen Vermittler vor der umfassenden digitalen Informations- / Datensammlung („Big Data“ bzw. Massendaten) der Versicherer, verbunden mit der zunehmenden Individualisierung von Versicherungsrisiken. Die Grundidee einer Versicherung, dass Versicherungsnehmer mit höheren Risiken und Versicherungsnehmer mit niedrigeren Risiken zusammen ein Kollektiv bilden und alle einen bezahlbaren Beitrag leisten, wird durch rein technikgestützte Verhaltenstarife zunehmend ausgehöhlt! Eine daraus resultierende umfassende Individualisierung von Versicherungsrisiken würde zu einer Erosion des Versicherungssolidarprinzips führen. Die deutschen Vermittler fordern die Versicherungswirtschaft daher eindringlich auf, am Versicherungssolidargedanken festzuhalten und die langfristigen Folgen einer Produktindividualisierung mit Augenmaß zu berücksichtigen.
Die deutschen Vermittler verstehen sich als Mittler zwischen Kunde und Versicherungsunternehmen und sind damit vertrauensvolle Ansprechpartner für ihre Kunden. Dieses gewachsene Vertrauensverhältnis zahlt sich für Kunde und Vermittler gleichermaßen aus. Aus diesem Grund schützen die deutschen Vermittler als selbständige Unternehmer die Verbraucherinteressen in einer digitalisierten Versicherungswelt. Eine umfassende und am Wohle des Kunden ausgerichtete Vorsorge ist dabei ihr oberstes Ziel.
3. Keine Vermittlung ohne Beratung
Die deutschen Vermittler begrüßen, dass die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden vor dem Abschluss eines Versicherungsvertrages laut IDD ermittelt werden müssen – wie dies im Übrigen auch bereits nach dem VVG vorgeschrieben ist – und die anschließende Produktempfehlung diesen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen muss. Ausnahmen für eine Vermittlung von Versicherungsverträgen ohne Beratung – wie sie die IDD bisher vorsieht – schaden hingegen den Verbrauchern. Die deutschen Vermittler fordern daher, das Verbraucherschutzniveau in Deutschland aufrechtzuerhalten und ausnahmslos eine umfassende Beratung und Dokumentation ins Versicherungsvertragsgesetz (VVG) zu implementieren und damit auch den Vermittlern Rechtssicherheit zu geben. Die Geeignetheit eines Produkts soll sich nicht aus der Rückwärtsbetrachtung, sondern zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ergeben. Das Risikoprofil ist für den Vermittler nur dann bewertbar, insbesondere weil Kunden ihre Risikobereitschaften über eine längere Laufzeit ändern.
In diesem Zusammenhang weisen die Vermittler auf das aktuelle Urteil des Landgerichts München I (Az: 37 O 15268/15) im Fall Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) gegen das Internetvergleichsportal Check24 hin, wonach das Gericht grundsätzliche Beratungsmängel des Online-Maklers feststellt und in dem Urteil klarstellt, dass die gesetzlich normierten Beratungspflichten (§ 61 VVG) auch für Online-Makler gelten.
Aus diesem Grund fordern die Vermittler von den politischen Entscheidungsträgern bei der nationalen Umsetzung der IDD, das hohe Verbraucherschutzniveau in Deutschland weiterhin aufrechtzuerhalten. Der Gesetzgeber sollte nationale Regelungen erlassen, die über die Minimalharmonisierung der IDD hinausgehen und die Online-Vermittlung von Versicherungsverträgen ohne Beratung grundsätzlich verbieten. Die Vermittler fordern zum Wohle der Kunden, gleiche Beratungs- und Dokumentationspflichten für alle Vertriebswege auf nationaler Ebene festzulegen.
Die Vermittler betonen, dass ohne eine qualifizierte Beratung die Kundenzufriedenheit deutlich abnehmen wird. Den Verbrauchern darf nicht suggeriert werden, für den Abschluss einer Versicherung sei keine qualifizierte Beratung erforderlich. Die Vermittler stellen weiterhin auch im digitalen Zeitalter die Nähe zum Kunden sicher und bauen langjährige persönliche Beziehungen auf und aus. Daraus resultieren Beratungsvorteile, von denen Kunden wie Versicherer gleichermaßen profitieren. Sie sind das Bindeglied zwischen Unternehmen und Kunde, ohne das sich ein Versicherungsunternehmen noch schneller gegenüber den Kunden austauschbar macht.
Qualifizierte Beratung ist ein wichtiger Beitrag zum Verbraucherschutz und wird durch stetige Fort- und Weiterbildung über die Weiterbildungsinitiative „gut beraten“ gewährleistet, die sich in der Branche bewährt hat. Die Vermittler begrüßen die Regelungen der IDD zur angemessenen Qualifikation für die Tätigkeit des Versicherungsvermittlers. Die Vermittler fordern, das bewährte Weiterbildungs- und Sachkundesystem in Deutschland im Rahmen der IDD-Umsetzung beizubehalten.
4. Transparenz statt Provisionsoffenlegung und Provisionsabgabe
Die deutschen Vermittler setzen sich aktiv für Transparenz beim Vertrieb von Versicherungen und Finanzprodukten ein. Die Vermittler befürworten die Intention der Musterklage des BVK gegen Check24 und die daraus resultierenden Forderungen des BVK. Beim ersten Geschäftskontakt des Verbrauchers muss deutlich werden, dass Vergleichsportale Online-Makler sind, die Courtagen für die Vermittlung von Versicherungen erhalten, wirtschaftliche Interessen verfolgen und damit nicht reine „Verbraucherschutzportale“ sind, als die sie sich gerne darstellen! Das hat zur Folge, dass Vergleichsportale die Verbraucher transparent über ihr Geschäftsmodell und ihre kapitalmäßigen Verflechtungen (Besitzverhältnisse) informieren müssen. Die Vermittler begrüßen, dass die IDD in diesem Punkt konkrete Transparenzanforderungen vorschreibt und eine Offenlegungspflicht hinsichtlich der Art der erhaltenen Vergütung gegenüber den Kunden vorsieht.
Eine verpflichtende Offenlegung der individuellen Provisionen ist nicht in der IDD vorgesehen. Die Offenlegung würde zu falschen Anreizen im Verbraucherverhalten führen. Zudem legen die Lebens- und Krankenversicherer bereits seit 2008 die gesamten Abschlusskosten (Vertrieb und Verwaltung) in Euro und Cent offen. Bereits mit der Einführung des Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG) im Jahr 2014 wurde mit den Regelungen zum Effektivkostenausweis bei Lebensversicherungen ein hohes Maß an Transparenz gesetzlich festgelegt. Diese Regelungen haben sich bewährt und finden ausdrückliche Zustimmung unter den Vermittlern: Sie bieten den Kunden einen aussagekräftigen Vergleich der Produktkosten unterschiedlicher Anbieter. Daher bedarf es hierzu keiner weitergehenden Regelungen. Aus diesem Grund lehnen die Vermittler auch neue digitale Geschäftsmodelle auf Basis der Provisionsabgabe ab und fordern den Gesetzgeber auf, das Provisionsabgabeverbot im Rahmen der IDD-Umsetzung im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) zu verankern.
Die Vermittler vertrauen den mündigen Bürgern, ihren Kunden. Sie sind sich sicher, dass jedem Verbraucher klar ist, dass gute Beratung und Betreuung eine angemessene Vergütung für die Vermittlung rechtfertigt.
Bonn, den 15.09.2016